Der Konzern JBS aus der brasilianischen Provinz ist der grösste Fleischproduzent der Welt. Auf dem Weg nach oben schmierten die drei Firmenchefs die Elite des Landes. Nun sagen sie als offenherzige Zeugen aus:
Manchmal sind es die kleinen Gesten, die alles sagen. Als Joesley Batista am 7. April dieses Jahres seine Kronzeugenaussage beginnt, die Brasiliens Politik erschüttern wird, hat der Staatsanwalt scheinbar Mühe damit, Batistas Vornamen richtig auszusprechen. So, als habe er das schon hundertfach erlebt, fährt Batista den gekünstelt stotternden Beamten an: «Joesley», sagt er brüsk, heisse er mit Vornamen. Der klingt in Brasilien, genauso wie Júnior und Wesley – die Namen seiner Brüder –, nach tiefster Provinz. Genau das wollte ihm der Justizbeamte aus São Paulo subtil vermitteln.
Dünkel trifft auf Macher:
Tatsächlich stammen die drei Brüder, Inhaber einer Unternehmensgruppe um den Fleischkonzern JBS, den grössten Fleischproduzenten der Welt, aus Anápolis im tiefen Westen Brasiliens. Dort reichen die Rinderweiden und Sojafelder bis an den Horizont. Nach den Initialen ihres Vaters José Batista Sobrinho ist der Konzern benannt. Zé Mineiro, wie er genannt wurde, belieferte beim Bau der nahen Hauptstadt Brasilia die Arbeiter mit Rindfleisch. Die Savanne diente als Weide, und das Fleisch trocknete an der Sonne. Später baute er ein eigenes Schlachthaus. Seine Söhne mussten schon früh mit anpacken: Als Dreizehnjährige handelten sie mit den Farmern die Rinderkäufe aus. Mit vierzehn lenkten sie die Viehtransporter.
Sie sind Schulabbrecher. Nicht einmal die Mittelstufe haben sie abgeschlossen. Doch innerhalb von zehn Jahren machten die drei Brüder aus dem väterlichen Betrieb den mit Abstand grössten Fleischproduzenten der Welt. Die Arbeitsteilung zwischen den Brüdern war klar: Wesley sondierte, Júnior verhandelte, und Joesley bezahlte.
Heute ist JBS ein Lebensmittelgigant, der jährlich Steaks, Pouletschenkel und Schweinerippen für 50 Mrd. $ verkauft. Die 200 000 Mitarbeiter zerlegen täglich 50 000 Rinder in 150 Schlachthäusern weltweit. Mehr als 80% ihres Umsatzes machen die Batistas im Ausland. In den USA kauften sie den abgewirtschafteten Traditionskonzern Swift, dann schluckten sie Pilgrim's Pride, den zweitgrössten Geflügelverarbeiter Nordamerikas. Dabei konnten sie damals nicht ein Wort Englisch. In Russland ist JBS heute der grösste Zulieferer von McDonald's. In Australien kontrolliert der Konzern den Rindfleischmarkt – und beliefert von dort China, Südkorea und Japan.
Lachen über die Cowboys aus der Provinz:
Zu Beginn machte sich die Finanzelite in São Paulo lustig über die Cowboys aus dem Hinterland, die stets ohne Anzug und Krawatte auftraten und gegen jede Zeitung prozessierten, die Fotos von ihnen veröffentlichte. Als die Batistas der Paulistaner Elite dann die teuersten Villen vor der Nase wegschnappten und von Stararchitekten restaurieren liessen, reagierte die Haute Volée pikiert und mokierte sich über die stillosen Neureichen aus der Provinz. Auch nachdem der heute 44-jährige Joesley vor fünf Jahren eine der bekanntesten Fernsehmoderatorinnen Brasiliens geheiratet hatte, fand er nie Zugang zum Jetset Brasiliens, obwohl bei der Hochzeit die gesamte Politelite bis zum heutigen Präsidenten Michel Temer eingeladen war. Als Júnior, mit heute 57 Jahren der Älteste, versuchte, in seinem Heimatstaat Gouverneur zu werden, verhinderte die eingesessene Nomenklatura den Weg des Schlachters an die Spitze der Politik.
Angesichts dieser permanenten Demütigungen muss es den Brüdern eine besondere Genugtuung gewesen sein, als die gleiche Elite, die sich über sie offen oder hinterrücks lustig gemacht hatte, ihnen aus der Hand zu fressen begann. Die Linksregierungen unter Lula und Rousseff wollten globale Champions fördern – so das offizielle Argument. Die Expansion von JBS wurde deshalb vor allem von brasilianischen Staatsbanken und Pensionsfonds finanziert. Rund 4 Mrd. $ Kredit bekamen die Brüder für ihre weltweite Expansion.
Seit den Kronzeugenaussagen ist bekannt, dass Joesley für jeden erhaltenen Kredit zwischen 2 und 4% an beteiligte Politiker und Funktionäre weitergab. Aus Koffern voller Bargeld und millionenschweren Konten in der Schweiz gingen monatlich Zahlungen an drei Präsidenten und deren Stellvertreter, Minister, Richter, Staatsanwälte und Gouverneure. Über zehn Jahre lang schmierte Batista 1829 Politiker und Beamte mit umgerechnet etwa 200 Mio. $ – eine überschaubare Investition im Verhältnis zu den Milliardenfinanzierungen, müssen sich die Brüder pragmatisch gedacht haben.
Der Fleischbaron Joesley nutzte die geschmierten Kanäle in die Politik, um gleich noch in andere Branchen zu expandieren: Heute gehören der Gruppen-Holding J&F neben dem Fleischgeschäft ein Stromkonzern, ein Zellulosehersteller, ein Milchverarbeiter, ein Reinigungsmittelhersteller sowie ein Modekonzern – alles Konzerne mit Dutzenden von starken Brands (darunter etwa die Havaianas-Plastikschlappen). Als jüngst in sozialen Netzwerken zum Boykott gegen JBS aufgerufen wurde, folgten minutenlang Markennamen, die man künftig nicht mehr kaufen soll. Industrielle Abnehmer wie McDonald's oder Burger King müssen nun ihren Zulieferer ersetzen, der ein Monopolist ist. Auf die guten Beziehungen in die Politik setzten die Brüder auch, als sie eine Banklizenz kauften. Der derzeitige Finanzminister und langjährige Zentralbanker Henrique Meirelles hat den Banco Original dann für die Batistas aufgebaut.
Bauernschlaue Verhandler:
Für Joesley war der Politikerkauf bald ein Teil des Geschäfts, so wie der Rinderkauf. «Das funktioniert so: Du machst dein Business. Die Politiker schauen sich das an und schaffen ein Problem. Dann bezahlst du sie, dass sie das Problem aus der Welt schaffen», erklärte Batista in seinen Aussagen. In den mitgeschnittenen Gesprächen mit Präsident Temer sowie dem ehemaligen Oppositionsführer und Senator Aécio Neves zeigt sich, wie vertraut, gierig und vulgär die Mächtigsten des Landes mit den Fleischbaronen verhandelten. Als die Mitschnitte jetzt veröffentlicht wurden, reagierte die Politikerelite wie gewohnt: Als «ungebildete Banditen» und «schwache Charaktere» kanzelte der Präsident sie ab. Da war er wieder, der Hass auf die Landeier. Auch den jüngsten Gammelfleischskandal versuchte Temer den Batistas nachträglich noch anzuhängen, obwohl JBS in dem aufgebauschten Fall nicht im Mittelpunkt stand.
Die Brüder sind längst weitergezogen – und haben auch beim Verhandeln mit der Staatsanwaltschaft bauernschlaues Geschick bewiesen: Der gesamte Batista-Clan durfte in die USA ausreisen, wo er künftig leben will. Dafür müssen die Gebrüder rund 60 Mio. $ zahlen und sind frei. Umgerechnet 3,2 Mrd. $ zahlen sie als Strafe für ihren Konzern – über 25 Jahre und wertberichtigt mit der Inflation. Es ist die grösste Entschädigungssumme, die je ein Konzern wegen Korruption weltweit bezahlt hat. Aber es sind nur 5,6% des JBS-Umsatzes des letzten Jahres. Kein Zweifel: Die Brüder haben mit den brasilianischen Eliten erneut gut verhandelt.
Quele: La Nacion